Die St. Johannes-Kirche mit ihrem Pastorat

St. Johannes-Kirche und Pastorat
St. Johannes-Kirche und Pastorat

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Die St. Johannes-Kirche zu Seester mit ihrem Pastorat

 

Der heutige Kirchenbau ist identisch mit der in einer Urkunde von 1428 erwähnten "neulich gestifteten und gebauten Kapelle". Die Kirche liegt auf einer Wurt im Zentrum des Straßendorfes. Als schlichte einschiffige gotische Backsteinkirche mit einem 5/12 polygonalem Abschluss, umwölbt und turmlos, ist sie der Vertreter eines in Norddeutschland allgemein verbreiteten mittelalterlichen Kirchentyps.


An der Nordwand befindet sich ein Gruftanbau von 1716, an der Südseite des Chores ein kleines Treppenhaus aus neuerer Zeit und westlich der Kirche ein freistehender hölzerner Glockenstuhl. Die Außenwände des Gebäudes bestehen aus glatten unverputzten Maschinenziegeln im Klosterformat. Anstelle des Sockels finden sich an der Nordseite große behauene Granitsteine, gelegentlich in zwei Schichten. Die Fenster haben alle die gleiche Form: Es sind gekuppelte Spitzbogenfenster in Segmentbogenblende. Etwa in der Mitte der Südwand befindet sich ein segmentbogiges Portal in Spitzbogenblende. Westlich davon befinden sich zwei Fenster, östlich daneben eins, dann folgt ein Portal wie das oben beschriebene und dann ein spitzgiebliges Treppenhäuschen. Jede Polygonseite enthält ein kleineres Fenster, die östliche Polygonseite außerdem eine segmentbogige Tür. In der Nordwand befinden sich vier Fenster: Drei östlich des Gruftanbaus und ein weiteres direkt westlich daneben. Das früher durch den Gruftanbau begängliche, aber jetzt durch einen Grabstein zugesetzte ehemalige Nordportal ist einmal eingestuft und mit einem Korbbogenrahmen versehen. Die Westwand der Kirche enthält ein Mittelfenster, im verzierten Giebel dieser Wand befindet sich ein Zahlenanker: ANNO 1889. Das Ziegeldach trägt im Westen einen Dachreiter mit drei Uhren auf den vier Seiten sowie darüber einem Spitzturm auf vier hölzernen Säulen mit einer Stundenuhr.

 

Entwicklung der Seesteraner Kirche

Die St. Johannes-Kirche zu Seester ist eine Patronatskirche des Klosters Uetersen. 1223 wurde die Kirchengemeinde erstmals erwähnt, die heutige Kirche selbst um 1428 erbaut – vermutlich auf den Grundsteinen des zerstörten Vorgängerbaus. Dabei hatte das auf einer zur Wurt erhöhten Sanddüne errichtete Gebäude zunächst nur etwa die Hälfte seiner heutigen Größe und wurde erweitert, nachdem die Kirche im Nachbarort Seestermühe durch eine Sturmflut vernichtet und das Gebiet der Kirchengemeinde Seester zugeschlagen wurde. Erst im Jahre 1555 wurde die Seesteraner Kirche protestantisch, weil sich das Kloster Uetersen bis dahin weigerte, dem Befehl des dänischen Königs Folge zu leisten und zu konvertieren.

 

Bemerkenswert im Inneren sind u.a. der inmitten des Dreißigjährigen Kriegs von örtlichen Bauern 1631 gestiftete Barockaltar, die aus dem selben Jahr stammende Kanzel sowie die Lazarusfigur, die auf ihren Schultern einen Armenblock (Opferstock) trägt. Der Armenblock stammt vermutlich aus dem Jahr 1613, wurde im Dreißigjährigen Krieg von schwedischen Truppen aufgebrochen und erst nach seiner Reparatur (vermutlich 1656-1661) auf die Lazarusfigur aufgesetzt. Da die Bodenbeschaffenheit keinen massiv gemauerten Glockenturm zuließ, wurden die Glocken in einem hölzernen, freistehenden Glockenstuhl aufgehängt, dessen erste Erwähnung sich in Urkunden aus dem 16. Jahrhundert findet. Während die größere Glocke aus dem Jahre 1668 stammt, wurde die kleinere Kirchenglocke wiederholt für Kriegszwecke eingezogen und eingeschmolzen und erst lange nach dem 2. Weltkrieg im Jahre 1957 ersetzt.

Die Westempore in der Kirche stammt aus dem Barock. Sie ruht auf 12 Ständern mit geschwungenen und gesägten Kopfbändern. Sie wurde in den 1960er Jahren grundlegend saniert und umgebaut, da hier die neue Marcussen-Orgel 1968 ihren Platz fand, welche die aus dem Jahre 1845 stammende Orgel auf der Ostempore ersetzen sollte. Die Ostempore wiederum läuft vor dem Chorpolygon herum und wurde 1844, eventuell anstelle einer älteren, unter Einbeziehung des Keltingchores neu erbaut. Sie lehnt sich an die an der Südseite bis dahin isoliert stehenden Seestermüher Grafenloge an.  

 

Bei umfangreichen Renovierungsarbeiten 1888/89 erhielt die Kirche ihr heutiges Gesicht, weshalb sich diese Jahreszahl auch auf einem Zahlenanker am Westgiebel findet. Zuvor befand sich das Gebäude in einem derart schlechten Bauzustand, dass sogar über eine Abriss und Neubau des Gotteshauses nachgedacht, aber schließlich verworfen wurde. So erhielt die Kirche u.a. neue, nach unten hin vergrößerte Fenster. Außerdem wurde der bis dahin noch nicht vorhandene Dachreiter mit den Uhren auf die Kirche aufgesetzt. Interessanterweise schmücken den vierseitigen Turm nur drei Uhren. In Richtung des nördlich gelegenen Ortsteils Seesteraudeich wurde auf eine Uhr verzichtet. Alten, nicht bestätigten, mündlichen Überlieferungen zu Folge ist dies auf die Sparsamkeit der hauptsächlich am Seesteraudeich lebenden Fischer-Familien zurückzuführen, die sich traditionell von der Kirche distanzierten und für die Renovierung der Kirche kein Geld spenden wollten. Zudem kommt es zu einem lang ersehnten Einbau einer Ofenheizung in die Kirche.

 

Das Pastorat

Direkt neben der Kirche befindet sich das Pastorat. Das ursprüngliche, einfache Bauernhaus mit Nebengebäuden wie Scheune und Backhaus
wurde 1837/38 durch das heutige Gebäude ersetzt. Tierhaltung und Ackerbau sorgten neben dem Apfelhof und dem Gemüsegarten

für die Versorgung der Pastorenfamilien, die bei der Ernte häufig von Konfirmanden unterstützt wurden. Aufgabe der Konfirmanden war es lange Zeit auch, den auf dem Dachboden der Kirche befindlichen Blasebalg der Orgel zu bedienen. Während der Wartezeit entstanden hier im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche, durch die Jugendlichen  während der Wartezeit auf den Kalkwänden hinterlassene Kritzeleien – Seesters wohl erste „Graffiti“.

 

Für den Neubau des Pastorats wurde das ursprüngliche Bauernhaus bis auf den Wirtschaftsteil abgebrochen. Dieser sich an den Neubau direkt anschließende Teil blieb bis 1904 erhalten und wurde dann durch einen massiven Stallanbau, bestehend aus Speisekammer, Waschküche, Wasserkeller, Feuerungsraum, Schweine- und Hühnerstall ersetzt. Beim Abriss des Hintergebäudes wurden unter dem Fundament verkohlte Holzreste gefunden die darauf hindeuten, dass das vorletzte Gebäude durch einen Brand vernichtet wurde.
Mit dem Rückgang der Eigenversorgung des Pastorats wurden auch einige Nebengebäude überflüssig. Eine Scheune nördlich des Pastorats wurde bereits um1830 abgebrochen. Im Januar 1877 wurde das zum Pastorat gehörende Backhaus auf Abbruch an einen Einwohner verkauft. Bei einer Revision der Kirchengebäude im Mai 1930 wurde das Pastorat als sehr ausbesserungsbedürftig angesehen. Die Reparaturmaßnahmen wurden aber erst 1939 durchgeführt. So wurde das Dach Instand gesetzt, neue Schornsteine gezogen und zwei Zimmer zu einem Konfirmandensaal zusammengelegt. Außerdem wurden fast alle Zimmer neu tapeziert. Durch die Belegung des Pastorats mit Flüchtlingen in der Nachkriegszeit ergab sich schon 1948 die Notwendigkeit weiterer Renovierungen, die zunächst aber wegen Geldknappheit zurückgestellt wurden. Erst nachdem 2,3 Hektar Kirchenland der Ziegelei zum "Abziegeln" zur Verfügung gestellt wurden, konnten 1950 mit diesen Einnahmen die notwendigen Reparaturma0nahmen durchgeführt werden. 1956 wurde in die Diele des Pastorats eine hölzerne Innenwand als Windfang und Kälteschutz erbaut, 1959 an der Rückseite ein Kohle- und Geräteschuppen erbaut. Im selben Jahr wurde der frühere Stall auf der Rückseite des Pastorats umgebaut und bot nun dem Konfirmandensaal nebst Toilettenanlagen sowie einem weiteren Schlafzimmer Platz. Der ehemalige Stallanbau wurde in den 2010er Jahren wegen akuter Baufälligkeit abgerissen.

 

Nachdem Pastorin Bettina Feddersen, seit 1993 in Seester tätig, zum 1. September 2021 in den Ruhestand verabschiedet wurde, ging auch in Seester eine Ära zu Ende. Erstmals konnte die Pfarrstelle in der Kirchengemeinde Seester nicht neu besetzt werden. Grund hierfür waren einerseits wirtschaftliche Entscheidungen des Kirchenkreises aufgrund der stark rückläufigen Anzahl an Kirchenmitgliedern sowie andererseits der anhaltende Mangel an Pastorinnen und Pastoren. Bereits seit geraumer Zeit arbeitete die Kirchengemeinde Seester mit den benachbarten Kirchengemeinden aus Haselau, Haseldorf/Hetlingen, Appen und Moorrege-Heist zusammen. Die Pastorinnen und Pastoren dieser Kirchengemeinden sollen sich die Arbeit in Seester künftig aufteilen.

Da die Pfarrstelle nicht neu besetzt werden konnte, wurde der Wohnteil des Pastorats als solches Entwidmet wodurch es der ehemaligen Pastorin und ihrer Familie ermöglicht wurde, auch weiterhin in dem Gebäude wohnen zu bleiben.

 

 

 

Quelle:
P. Danker-Carstensen: Gemeinde Seester - Geschichte eines Dorfes in der Elbmarsch und ein Beitrag zur Geschichte des Kirchspiels Seester, 1993. Restexemplare der rund 300-seitigen Dorfchronik sind bei der Gemeinde Seester käuflich zu erwerben.

 


Standort: 

Dorfstraße 36-38, 5370 Seester
gegenüber der St. Johannes-Kirche
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Weitere Infos:

www.kirche-seester.de

• de.wikipedia.org/wiki/St.-Johannes-Kirche_(Seester)


 

 

Blick auf die Kirche um 1910 - rechts noch das alte Schulhaus
Baugeschichte der St. Johannes-Kirche zu Seester
Die St. Johannes-Kirche um 1925
Das Pastorat um 1924
Historische Aufnahme der Kirche vom neuen Friedhof aus gesehen
Das Pastorat von der Gartenseite aus gesehen um 1903 - hier noch mit der kurz darauf abgebrochenen Scheune
St. Johannes-Kirche (Nord-Ost-Seite) 1882 noch vor der grundlegenden Sanierung (u.a. an den alten Fenstern und dem fehlenden Dachreiter zu erkennen)
Die St. Johannes-Kirche im Jahre 1935
Im Juli 1917 musste die kleinere der beiden Glocken aus dem Jahre 1771 abgenommen und zum Einschmelzen für Kriegszwecke abgegeben werden. Rechts mit Hut Pastor Hausberg.
St. Johannes-Kirche Seester im Jahre 2012
Innenraum der St. Johannes-Kirche, 2011
St. Johannes-Kirche im Winter 2009
Pastorat und Kirche im Jahre 2012