Geschichte
Durch ständige Überflutungen und den damit verbundenen Ablagerungen entwickelte sich im Laufe der letzten 7000 Jahre am Elbufer die Marsch und damit ein zunächst noch siedlungsfreies, dem Wechsel der Gezeiten ausgesetztes Gebiet, dessen Entwicklungsprozess erst im Laufe der letzten 800 bis 900 Jahre durch den Menschen beeinflusst und verändert worden ist.
Im Laufe der Jahrhunderte hat der Mensch immer wieder versucht, auf der Marsch Fuß zu fassen. Seine Bemühungen wurden allerdings regelmäßig von den Naturgewalten zunichte gemacht. Erst ins Land gerufene Siedler aus Friesland und den Niederlanden verstanden es, mit ihrer schon damals hoch entwickelten Technologie die Marsch dauerhaft nutzbar zu machen. Die erste Bedeichungsaktion fand Mitte des 11. Jahrhunderts statt. Mit Entwässerungsgräben wurde das Gebiet trocken gelegt und somit auch die erste Besiedlung ermöglicht. Dennoch hatten die Marschen-Bewohner auch in den folgenden Jahren bis in die heutige Zeit hinein immer einmal wieder mit schweren Sturmfluten zu kämpfen.
Wer auf älteren Karten und Plänen nachschaut, wird die Gemeinde Seester allerdings vergebens suchen. Seinen derzeitigen Namen erhielt die Gemeinde erst in Folge eines Bürgerentscheides im Jahre 1991. „Soll die Gemeinde Kurzenmoor künftig Gemeinde Seester heißen?“ lautete die Frage, über die die wahlberechtigten Einwohner am 24.02.1991 abzustimmen hatten. Eine Gesetzesänderung im Land Schleswig-Holstein hatte wenige Monate zuvor diese Art der Mitbestimmung ermöglicht und eine Bürgerinitiative durch das Sammeln von Unterschriften den Bürgerentscheid erwirkt, der letztendlich mit 58,8% im Sinne des Begehrens und damit für die Umbenennung der Gemeinde entschieden wurde. „Es gibt das Restaurant „Seester Landhaus“, die „Seester Süßmostkelterei“, die Kirche zu Seester, die Grundschule Seester und die „Seester Liedertafel“. Fast alles in Seester trägt den Namen Seester – nur Seester selber nicht. Seester heißt nämlich Kurzenmoor [...]“ beschrieb das Magazin „Die Zeit“ 1991 die Situation. „Das ist so, weil die Ortschaften, die 1892 zur heutigen Gemeinde zusammengefasst wurden, einen Rat hatten, der nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht besetzt wurde: Sämtliche Gemeindevertreter der Ersten Klasse waren Grundbesitzer aus Kurzenmoor – und die Besitzenden beschlossen den Gemeindenamen“, argumentierten seinerzeit die Initiatoren des Bürgerentscheids um Adelheid Malzahn.
Tatsächlich entstand im Zuge der preußischen Landreform 1892 aus den Orten Seester, Kurzenmoor, Groß- und Klein Sonnendeich, Seesteraudeich, Finkenburg, Wisch und Köhnholz die politische Landgemeinde Kurzenmoor. Der Name Kurzenmoor leitet sich aus dem plattdeutschen „korthen Moor“ ab und bezeichnet das „kurze Moor“, also den hier ungewöhnlich schmal ausgebildeten Moorstreifen am Übergang von der Marsch zur Geest. Das Kirchspiel Seester bestand bereits sehr viel länger und erstreckte sich von Wisch im Norden bis Schlickburg im Süden und – nachdem die dort im Spätmittelalter durch eine Sturmflut vernichtete Kirche nicht wieder aufgebaut wurde – von der Elbe in Seestermühe im Westen bis hin nach Kurzenmoor im Osten. Der Name Seester leitet sich von der Seesterau bzw. der Seester Aue ab, der heutigen Krückau, und wurde bereits 1141 erstmals schriftlich erwähnt.
Nur zwei Jahre nach Gründung der preußischen Landgemeinde Kurzenmoor wurden die Orte Wisch und Köhnholz bereits wieder abgetreten. Nachdem die Schule, welche von den Kindern aus Wisch, Köhnholz und Lieth besucht wurde, bei einem Feuer vollständig zerstört wurde, musste für den weiteren Schulbesuch der Kinder schnellstmöglich eine Lösung gefunden werden. Der Weg zur Seesteraner Grundschule über die zumeist noch nicht befestigten und gerade in den Wintermonaten oft überschwemmten Straßen und Fußwege durch das Moor erschien zu weit. So einigte man sich schließlich mit der Stadt Elmshorn, die Kinder aus Wisch und Köhnholz auf die Klostersander Schule zu schicken und für die Kinder aus Lieth eine eigene Schule zu errichten. Die Zustimmung der Stadt Elmshorn war allerdings an die Bedingung geknüpft, die Ortsteile Wisch und Köhnholz auch politisch an die Stadt zu übertragen. Freilich nicht ohne Hintergedanken: Kurz zuvor waren die Verträge für den Bau der neuen Reit- und Fahrschule des überregional bedeutenden Holsteiner Verbandes auf Köhnholz beschlossen worden. Dieses Prestige trächtige Objekt in Elmshorn anzusiedeln, war für den Elmshorner Magistrat sehr verlockend. Als Gegenleistung wollte die Stadt Elmshorn einen beachtlichen Teil der Kurzenmoorer Gemeindeschulden übernehmen.
Noch heute lässt sich anhand der alten Gebäude in den verschiedenen Ortsteilen der Arbeitsalltag der Menschen in früheren Zeiten nachvollziehen. So ließen sich die Fischer meist am Seesteraudeich nieder und bauten ihre kleinen Katen meist direkt am Fuß des Krückaudeiches in direkter Nähe zu ihren Booten. Im Ortsteil Seester ließen sich rund um die St. Johannes-Kirche hauptsächlich Handwerker und Händler nieder, die in ihren großen Wohnhäusern arbeiteten und lebten und oft auch einen angrenzenden Viehstall und einen großen Obst- und Gemüsegarten für den Eigenbedarf bewirtschafteten. Der fruchtbare Ackerboden in Kurzenmoor sowie in Groß- und Klein Sonnendeich bot dagegen beste Voraussetzungen für die Landwirtschaft. So sind hier auf Warften und alten Deichlinien bis heute stattliche Bauernhäuser erhalten geblieben, wenngleich nur noch wenige tatsächlich noch im Haupterwerb bewirtschaftet werden.
Die Bedeutung der Fischerei und der Landwirtschaft, hier gerade auch die Zucht des Holsteiner Pferdes, lebt noch heute im Wappen der Gemeinde Seester weiter. Dieses ziert einen aus dem Wasser springenden Fisch und einen Pferdekopf getrennt durch einen im Profil gezeigten Deich. Symbolisch zeigt das Wappen in seinen Farben auch das Leben diesseits (grün) und jenseits (blau) des Deiches, der die Bewohner vor den Fluten schützt.
Eng verknüpft mit der Geschichte der Gemeinde sind auch die Kurzenmoorer Ziegelwerke. Die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte verstärkt zum Bau große Industrieanlagen. Auch der Ausbau der preußischen Verwaltung schlug sich in zahlreichen Hochbauten wie Schulen, Rathäusern, Gerichtsgebäuden usw. nieder. Der Ziegelstein war hier das vorherrschende Baumittel. So entwickelte sich auch in der Seestermüher- und Haseldorfer Marsch Ende des 19. Jahrhunderts eine mittelständige Ziegelindustrie, die den tonhaltigen Marschboden als Rohstoff nutzte. 1889 entschieden sich Claus Hell, Viehzüchter und Landwirt aus Kurzenmoor, und sein gerade aus den USA in die Heimat zurückgekehrter Bruder Hermann Hell zur Gründung einer Ziegelei auf einem der Familie gehörenden Grundstück am Seesteraudeich. Als Rohstoff diente der Schwemmton der schweren Marschböden in der unmittelbaren Nachbarschaft der Ziegelei. Der Rohstoff des Tons war aufgrund seines niedrigen Salpetergehaltes sehr gut und nicht durch Moor- oder Torfbeimischungen versetzt. Das Land zur Tongewinnung wurde von den Kurzenmoorer Landwirten der Ziegelei zum Abbau zur Verfügung gestellt und dann durchschnittlich um einen halben bis hin zu einem Meter "abgeziegelt", also abgegraben. Die Kohle für den Brennofen wie auch zum großen Teil die fertigen Ziegel wurden auf dem Wasserweg transportiert. Diese direkte Lage an einem schiffbaren Fluss stellte für viele Ziegeleien, so auch für die Kurzenmoorer Klinkerwerke, einen unmittelbaren Wettbewerbsvorteil dar. Der billige Schiffsversand über Krückau und Elbe ermöglichte eine überregionale Marktorientierung. Der Brennofen "System Dannenberg" mit seinen 16 Kammern war auf das Brennen von Klinkern zugeschnitten. 1910/11 wurde am Ofen ein größerer Umbau vorgenommen und dieser auf das System "Franke-Magdeburg" umgerüstet. Außerdem wurde der Ofen um 4 auf jetzt 20 Kammern verlängert. Das Trocknen der nassen Steine erfolgte in zwei großen, parallel zum Ofen stehenden, mit Pappe gedeckten Etagenschuppen, die seitlich mit Jalousien ausgerüstet waren und Trockenplatz für 370.000 Steine boten. Eine Dampfmaschine des Bergedorfer Eisenwerks lieferte 30 PS. Den Dampfkessel baute die Carlshütte in Büdelsdorf. Die beiden Ziegelpressen von der Firma Richard Raupack in Görlitz hatten zusammen eine Tageskapazität von 50.000 Steinen. Normal war allerdings eine Tagesproduktion von 20.000 bis 25.000 Steinen. Nach anfänglich recht schleppendem Betrieb verbesserte sich das Betriebsergebnis nach der Jahrhundertwende deutlich. Beschäftigt wurden zu dieser Zeit durchschnittlich 30 Arbeiter, die meist von April bis November eingestellt waren und danach in die Heimat zurückkehrten, zumeist in das Herzogtum Lippe, nach Posen, Hessen oder anderen Provinzen des Deutschen Reiches. Etliche der Ziegeleiarbeiter blieben aber im Laufe der Zeit am Seesteraudeich oder in Seester, holten ihre Familien nach oder gründeten hier eine eigene Familie, die teilweise bis heute in Seester wohnen. In den 1960er Jahren arbeiteten auf der Ziegelei in Kurzenmoor noch 18 Beschäftigte, die maximal 4 Millionen Steine im Jahr produzierten. Pro Tag konnten 16.000 Steine hergestellt werden. Die vergleichsweise schlechten Arbeitsbedingungen in den Ziegeleien führten während der Hochkonjunktur in den 60er Jahren trotz der Beschäftigung von ausländischen Gastarbeitern zu einem anhaltenden Arbeitskräftemangel, so dass viele schleswig-holsteinische Ziegeleien, so auch 1971 die Klinkerwerke Kurzenmoor, ihren Betrieb endgültig einstellen mussten. Rund 40 Jahre lang verfielen die Gebäude, unter anderem der massive Ringofen sowie der 1956 erneuerte, hohe Industrieschlot zusehends und mussten schließlich auf behördliche Anweisung hin aufgrund der akuten Einsturzgefahr im Sommer 2010 abgerissen werden.
Bekannt ist die Gemeinde Seester auch durch den „Seester Apfelsaft“. Wie auch zahlreiche andere Fruchtsäfte wird dieser in der Süßmostkelterei der Familie Hell in der Dorfstraße produziert und vor allem im südlichen Schleswig-Holstein vermarktet.
Im 21. Jahrhundert spielen die früheren Haupterwerbszweige der Marschgemeinde wie Fischerei und Landwirtschaft wahrlich nur noch eine untergeordnete Rolle im Gemeindealltag. Der größte Teil der Einwohner kommt einer beruflichen Tätigkeit in den benachbarten Städten wie Elmshorn, Uetersen, Wedel oder Hamburg nach. An Stelle der alten Berufe haben sich im Laufe der Jahre aber auch eine Reihe von Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen in Seester angesiedelt.
Mit der Ausweisung neuer Bauflächen haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viele junge Familien den Weg in die Gemeinde Seester gefunden. So konnten beispielsweise in den 1970er Jahren im Koog, in den 1980er und 1990er Jahren nord-östlich der Dorfstraße und am Dieckhof sowie ab 2011 an der Rönnwettern zahlreiche Eigenheime errichtet werden.
Eine umfassende Chronik zur Geschichte der Gemeinde Seester vom namhaften Autor und Heimatkundler Peter Danker-Carstensen (318 Seiten) können Sie zum Preis von 20,- EUR bei Bürgermeister Hermann Stieler erwerben.