Die Bandreißerkate Bornholdt
<<< Zurück zur Übersichtsseite der Geschichtstafeln
Die Bandreißerkate Bornholdt
Die Haseldorfer und die Seestermüher Marsch wurden aufgrund ihrer günstigen landschaftlichen Voraussetzungen im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Bandreißerei. Die von den Bandreißern verarbeiteten Weiden wuchsen zum größten Teil in den Außendeichsländereien der holsteinischen Elbmarschen. Die Blütezeit dieses hochspezialisierten Gewerbes fiel in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heute ist die relativ kurze Entwicklung dieses Wirtschaftszweigs schon wieder Geschichte.
Das Bandreißergewerbe
Bis ins 18. Jahrhundert hinein fertigten die Böttcher (Fasshersteller) ihre Fassreifen selbst. Dann begannen sich um das Jahr 1800 herum einzelne Böttcher auf die Reifenproduktion zu spezialisieren und wurden so zu "Bandreißern". Die Bezeichnung setzt sich zusammen aus dem Wort "Band", welches entsteht, wenn Stöcke aus Weide, Hasel oder Eiche etc. gespalten ("reißen") werden. Die Bandreißer fertigten für die Böttchereien hölzerne Fassreifen, die in verschiedenen Längen und zu Ringen gebogen geliefert wurden. Die Reifen mussten innen glatt sein, damit sie gut am Fass anlagen. In der Böttcherwerkstatt wurden - nachdem Maß genommen war - die abgeflachten Enden der Bänder miteinander verschlungen und durch eingeschnittene Kerben miteinander verhakt.
Die in der Haseldorfer und Seestermüher Marsch hergestellten Weidenbänder dienten hauptsächlich für Transportfässer. Sie waren elastisch und darum leicht zu verarbeiten. Die Bandreißer der Elbmarsch stellten einerseits "graue" (ungeschälte) Bänder zum Beispiel für Zementfässer her, hauptsächlich aber "weiße" (geschälte) Fassreifen für Butterfässer. In der Blütezeit der Bandreißerei in den 1930er Jahren lieferten die Bandreißer aus der Haseldorfer und der Seestermüher Marsch alljährlich ca. 15 Millionen Reifen.
Eine Eigenart der Elbmarsch ist ferner die Band- und Korbweidenkultur, die in grossem Umfang und als grösserer Erwerbszweig betrieben wird. Zur Hauptsache werden die Weiden auf den höher gelegenen Watten und auf den niedrig liegenden Aussendeichsländereien angebaut, aber auch im Binnenfelde, auf Marsch- sowie auch auf Moorland wächst die Korb- und Bandweide. Die Anlage solcher Kulturen, die Reinhaltung und das Abernten ist mit großen Ausgaben und viel Arbeit verbunden. Auch spielt namentlich bei der Ernte Wind und Wetter eine grosse Rolle, besonders im Aussendeich. Ist das Rohmaterial hinter den sicheren Schutz des Deiches gebracht, so beginnt die Arbeit in den Werkstätten der Bandreisser. Diese wohnen zweckmässig an den Deichen, wo sie in der Regel größere Katen oder kleinere Bauernhäuser besitzen. Die sogenannten grauen Tonnenbänder - das sind solche, die mit dem Bast hergestellt werden - werden im Winter fertiggestellt. Ein grösserer Teil des Rohmaterials wird aber im Winter, zu sauberen Bunden vereinigt, ins Wasser, meist in Gruben dicht bei den Häusern der Bandreißer, gestellt, um im Frühjahr abgebastet und dann zu weissen Tonnenbändern verarbeitet zu werden. Dabei finden zu einer bestimmten Jahreszeit, nämlich dann, wenn die Vegetation sich rührt und das Bast lose macht, eine grössere Anzahl Frauen und Kinder lohnenden Beschäftigung, indem sie im Akkord das Bast von den Stöcken entfernen. Aus dem Bast wird Salizilsäure hergestellt. Die grauen Tonnenbänder werden hauptsächlich zu Zementfässern und ähnlichem benutzt, die weissen zu Butterfässern und diesen ähnlichen. Es werden so viele von beiden Sorten angefertigt, dass ein erheblicher Teil davon nach Dänemark und Schweden ausgeführt werden kann. Neuerdings werden auch bestimmte Sorten und Größen von Möbelfabriken zu Stühlen verarbeitet und auch die Korbmacher kaufen grosse Mengen einjährige Weiden. Angebaut werden von Bandweiden hauptsächlich zwei Sorten, nämlich die "salix vinimalis" und die "salix amygdalina". Buschweiden für Körbe und für die Tonnenbänder bringen dagegen immer noch einen guten Ertrag und werden deshalb auf sonst nicht gut auszunutzende Ländereien in den Schallen und auch Binnendeichs angepflanzt. (Quelle: Zeitzeugenbericht)
In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg stieg die Nachfrage nach Fassreifen derart, dass Rohmateriali auch aus Holland importiert werden musste. Die Konzentration des Handels mit Fassreifen auf wenige Betriebe erlaubte die Preisgestaltung entsprechend den Absatzmöglichkeiten. Für die umfangreichen Lieferungen nach Skandinavien gründeten die Großhändler 1948 eine Reifen-Exportgesellschaft, die die Verkaufspreise einheitlich festlegte.
Das Ende der Bandreißergewerbes
Mit der Umstellung der Butterverpackung vom Butterfass zum Pappkarton Ende der 1950er Jahre begann der Niedergang des Bandreißergewerbes. Endgültig überflüssig wurde das Butterfass durch die Tiefkühlung der Butter in würfelförmigen Umverpackungen zu 25 kg und die Nachfrage des Handels in seiner Entwicklung vom "Tante-Emma-Laden" mit Bedienung hin zum Selbstbedienungsladen nach maschinell verpackten, genormten 250-Gramm-Packungen. Von den 1959 noch 100 Bandreißer-Betrieben in der Elbmarsch blieben bis in die 1980er Jahre nur noch zwei Betriebe übrig, die geschälte Weidenstöcke für die Korbmöbelindustrie und graue Reifen für Kranzbindereien herstellten.
Der letzte Betrieb in der Seestermüher Marsch war die Bornholdt'sche Bandreißerei am Seesteraudeich, die 1980 nach mehr als 110-jährigem Bestehen ihren Betrieb einstellte.
Nach dem 1. Weltkrieg wurden die Bandreißerlehrlinge an der Berufsschule in den Klassen anderer holzverarbeitender Berufe mitunterrichtet. Hinzugefügt werden muss, dass sich jeder Bandreißergeselle, der sich selbstständig machte, Meister nennen konnte. Die Größe der schleswig-holsteinischen Betriebe und die Kürze der Ausbildung unterschied sich deutlich von den Verhältnissen im übrigen Deutschland. Die Beschäftigten im Bandreißergewerbe in der Haseldorfer und der Seestermüher Marsch waren nicht gewerkschaftlich organisiert, was sicherlich auch mit der Tatsache zu tun hatte, dass die überwiegende Zahl der Bandreißereien Familienbetriebe waren. 1948 gründeten rund 100 Meister eine Bandreißer-Innung, die der Kreishandwerkerschaft Pinneberg angehörend hauptsächlich dazu diente, die Konkurrenz gering und damit die Preise stabil zu halten. Diese Innung bestand bis 1973.
Die Bandreißerei Bornholdt
Über das Selbstverständnis und die Ausübung des Gewerbes berichtet Lene Bornholdt, Tochter des Bandreißers Peter Bornholdt, Seesteraudeich, in der Chronik der Gemeinde Seester:
Die Bandreißer gehörten nicht zur Landwirtschaft und auch nicht zum Handwerk. Dazu gehörte mein Vater. Er war Selbstständig und hatte in der Regel 3 Gesellen und 1 Lehrling. Die Lehrzeit betrug nur 16 Monate, dann wurden sie Gesellen. Eine Fortbildungsschule brauchten sie nicht zu besuchen. Verpflegt und beherbergt wurden sie im Hause des Meisters. An Lohn erhielten sie wöchentlich ca. 6 bis 7 Mark. Das ging nach Tagewerken. Je nach Größe und Weite der Reifen mussten sie eine Anzahl machen und was darüber war, ging nach Akkord. Im Sommer gingen sie in die Ernte. Viele gingen von hier zur Kollmar Marsch, da war der Verdienst noch etwas höher wie hier (wöchentlich etwa 18 bis 20 Mark).
Die Bandreißerei am Seesteraudeich wurde um 1870 herum gegründet. In dem Haus am Seesteraudeich 150 lebte und arbeitete die Familie bis zur Aufgabe des Betriebs 1980 nach mehr als 110-jährigem Bestehen. Im Nebenerwerb wurde Obstbau betrieben. Nach Aufgabe des Betriebs wurde die reetgedeckte Großkate in Zweiständer-Bauweise den neuen Wohnbedürfnissen entsprechend angepasst und die Hoffassade und ein Teil der Deichfront verändert.
Quelle:
P. Danker-Carstensen: Gemeinde Seester - Geschichte eines Dorfes in der Elbmarsch und ein Beitrag zur Geschichte des Kirchspiels Seester, 1993. Restexemplare der rund 300-seitigen Dorfchronik sind bei der Gemeinde Seester käuflich zu erwerben.
Standort:
Seesteraudeich, 25370 Seester
gegenüber Hausnummer 150