Gastwirtschaft und Saal Lüders
<<< Zurück zur Übersichtsseite der Geschichtstafeln
Gastwirtschaft und Saalbetrieb Lüders
"Gasthaus Seester"
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts sind im Kirchspiel Seester zahlreiche Gastwirtschaften bezeugt. Diese Betriebe waren meist mit einer Form von Handelsgeschäft (Hökerei) und manchmal auch mit einem Fuhrunternehmen verbunden. Oft waren Ausschank und Hökerei auch im selben Raum untergebracht. Im 19. Jahrhundert wurde das Gastgewerbe oft auch als Nebenerwerb zur Landwirtschaft betrieben. Die Gastwirtschaften profitierten von einem regen Vereinsleben, das sich zu der Zeit überall entwickelte. Private Feierlichkeiten wie Familienfeste und Jubiläen wurden um die Jahrhundertwende allerdings noch nicht in Gasthäusern abgehalten, dagegen fanden öffentliche Versammlungen und auch politische Veranstaltungen hier statt.
Bekannt sind folgende Gasthäuser in der heutigen Gemeinde Seester, die nach 1850 teilweise zeitgleich existierten:
- "Kastanienhof" Familie Thormählen, später Hamdorf, Dorfstraße 32, Gastwirtschaft und Hökerei und Bäckerei, einem Krämerladen und einem großen, 600 Personen fassenden Saalanbau. Lange Zeit der "Hauptkrug" in Seester. Ostern 1925 brannten Bäckerei und Saalgebäude nieder, wobei der im Haus lebende Bäckergeselle ums Leben kam. Walter Riedel baute das Gebäude wieder auf und errichtete auch einen neuen Saal mit Gartenterrasse. Anfang der 1930er Jahre wurde der Betrieb an den USA-Rückkehrer Heinrich Scherenberg verkauft. Die Bäckerei wurde von Wilhelm Fitz auf Pachtbasis übernommen. Bis in die 1960er Jahre führte die Familie Doerks das Ladengeschäft weiter. Heute sind Ladengeschäft, Gastwirtschaft und Saal vollständig zu Wohnungen umgebaut.
- "Gasthaus Seester" Heinrich Lüders, Dorfstraße 39. Gastwirtschaft mit Saalbetrieb und Hökerei direkt an der St. Johannes-Kirche - siehe Hauptartikel
- Gastwirtschaft Michael Both, Dorfstraße 41. Die kleine Schankwirtschaft von Michael Both war in dem Haus Dorfstraße 41 gegenüber des Schulsteigs untergebracht. Dieser Dorfkrug bestand nur aus einer Schankstube und hat wahrscheinlich nur bis zum 1. Weltkrieg existiert.
- "Deichschänke" Gastwirtschaft Claussen, Seesteraudeich 50. 1955 kauften Hans und Frieda Claussen die Kate am Seesteraudeich 50 und richteten hier eine kleine Kneipe, die "Deichschänke" ein. In den 1960er Jahren bauten die Eheleute Claussen auf dem durch die Verlegung der Wettern entstandenen Land auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein neues Haus mit angeschlossener Gaststätte.
- "Fischerkate Seester" / "Seester Landhaus", Seesteraudeich 51. Nach dem Neubau der Familie Claussen, die zuvor die "Deichschänke" in direkter Nähe betrieben hatte, wurde in einem Anbau zum Haus Ende der 1960er Jahre eine zeitgemäße Gaststätte eingerichtet. Diese profitierte von der Schließung des Gasthauses Lüders an der Kirche 1970. 1975 setzten sich die Eheleute Claussen nach 20 Jahren zur Ruhe und übergaben die Gaststätte an den Elmshorner Willy Wöbcke, der die Gaststätte nun in "Fischerkate Seester" umbenannte. 1982 brannte die Gaststätte ab, die Ruine wurde von Herfried Bruns-Ziehen aus Berlin bei einer Zwangsversteigerung erworben, der hier eine neue, noch größere Gaststätte mit Restaurant errichtete, welches zunächst als "Landhaus Seester" bekannt wurde und nach mehreren Pächterwechseln schließlich wieder "Fischerkate Seester" hieß. 2016 wurde das Restaurant endgültig geschlossen und zu Wohnungen umgebaut.
- "Zum Lindenbaum" Gaststätte Koopmann / Redeker, Groß Sonnendeich 89. Erste Aufzeichnungen finden sich 1864, als ein Friedrich Redtstedt in Groß Sonnendeich eine Gastwirtschaft mit Hökerei betrieben haben soll. Ob diese an derselben Stelle stand, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Der nächste namentlich erwähnte Gastwirt in Groß Sonnendeich war Emil Langfurth (1910). Sein Nachfolger war der Bandreißer Hinrich Koopmann, der die Schankwirtschaft nach dem 1. Weltkrieg übernahm. Seine Tochter Margarethe heiratete den aus dem Lipoischen stannemden Ziegeleiarbeiter Hermann Redeker, der die Gastwirtschaft zusammen mit seiner Frau kaufte und nebenbei Obstanbau betrieb. Nachdem Hermann Redeker sich zur Ruhe gesetzt hatte, übernahm sein Sohn, Gärtnermeister Karl Redeker Gastwirtschaft und Obsthof und betrieb diese bis zur endgültigen Schließung in den 2010er Jahren.
- Gastwirtschaft Hell/Hass, Kurzenmoor 18. Auf dem Bauernhof wurde neben der Landwirtschaft seit etwa 1870 auch eine Schankwirtschaft betrieben. Der erste Schankwirt war Hofbesitzer Ladewig Hell (1837-1917). Sein Nachfolger auf dem Hof und in der Gaststube war sein Sohn Julius Hell (1865-1941), der den Hof seit 1905 besaß. Hier befand sich ab 1910 auch der erste Telefonanschluss in Kurzenmoor. Der nächste Gastwirt war Jacob Hass, der 1921 die Tochter von Julius Hell, Anna Margaretha Hell, heiratete. Während des 2. Weltkriegs war der Betrieb der Gastwirtschaft eingestellt. 1948 übernahm Anna Hass (1898-1992) den Hof und blieb bis zur Einstellung des Betriebs 1965 Gastwirtin in Kurzenmoor. Anders als die übrigen Gasthäuser in der Gemeinde lag die Schankwirtschaft Hell an einer Landstraße und wurde daher auch von Reisenden besucht. Hierfür gab es den der Gastwirtschaft vorgelagerten "Utspann" ("Ausspann"), in welchem die Pferde der Reisenden aus den Kutschen ausgespannt und versorgt wurden. Das Gebäude wurde bei einem Großbrand 1969 teilweise zerstört und in der Folge vollständig umgebaut.
- Gasthaus Finkenburg, Finkenburg. Auch in der Straße Finkelnburg soll es zeitweise eine Gastwirtschaft gegeben haben. Hierüber liegen leider keine weiteren Informationen vor.
Das Gasthaus Seester Heinr. Lüders
Eine erste urkundliche Erwähnung datiert aus dem Jahre 1864, als der ursprünglich aus Raa stammende Hinrich Thormählen als "Gastwirt und Höcker" aufgelistet wird. Dessen Sohn Johannes Thormählen verkaufte den Betrieb 1903 an den aus Steindeich (Kollmar) stammenden Heinrich "Hein" Lüders. Mit der direkt an der St. Johannes-Kirche befindlichen Gastwirtschaft war auch ein großes, zweistöckiges Saalgebäude auf der anderen Straßenseite verbunden. Während des Neubaus der Schule 1912 fand auch der Schulunterricht für mehrere Monate im Saal von Lüders statt. Heinrich Lüders betrieb neben der Gastwirtschaft noch eine Schweinemästerei und handelte mit Schrot. In dem kleinen Ladengeschäft, der Hökerei, gab es außer Lebensmitten auch Waren des täglichen Bedarfs.
Die Lüder'sche Gastwirtschaft war aufgrund ihrer Lage direkt neben der Kirche prädestiniert für Beerdigungsfeiern. wenn die Trauergemeinde vom Friedhof zurückkam, ging man gleich direkt auf den "schönen Parkettsaal" zum Kaffee. Aber auch vor und nach den sonntäglichen Gottesdiensten war das Haus gut besucht. Denn aufgrund der damals vielfach noch nicht ausgebauten Fußwege war es Sitte, dass die Dorfbewohner vor dem
Kirchgang ihre verschmutzten Schuhe gegen mitgebrachtes, auf Hochglanz poliertes Schuhwerk austauschten und für den Rückweg wieder die Alltagsschuhe anlegten. Die Gastwirtschaft war hierfür genau der richtige Ort, der obendrein im Winter einen stärkenden Grog und im Sommer ein kühles Bier bot. Aber auch zahlreiche Familienfeiern, Sängerbälle und Schulfeste wurden hier gefeiert. Die Gastwirtschaft profitierte natürlich von der Schließung der Riedel/Scharfenberg'schen Wirtschaft in den 1930er Jahren, da hierdurch die Auslastung des Saals deutlich anstieg, Auch Politik wurde bei Lüders gemacht - und dies nicht nur am Stammtisch, sondern auch ganz offiziell, da der Kurzenmoorer Gemeinderat hier jahrzehntelang etwa einmal im Monat tagte. Die Freiwillige Feuerwehr Kurzenmoor-Seester wurde am 6. Januar 1912 bei Lüders gegründet.
Heinrich Lüders Sohn Hermann fiel 1944 im 2. Weltkrieg, so dass seine Frau Regine die Gaststätte weiterführen musste. Sie wurde zunächst noch einige Zeit von ihrer Schwiegertochter Frieda Lüders, geb. Feddersen unterstützt, die dann aber nach Elmshorn verzog. Nach der Währungsreform übernahmen dann Erna und Wilhelm Thies - Tochter und Schwiegersohn - das Geschäft. Wilhelm Thies verstarb 1960, ein Jahr nach dem Tode seiner Schwiegermutter Regine Lüders. Erna Thies kümmerte sich jetzt hauptsächlich um das Ladengeschäft. Der Betrieb der Gaststätte verlor mehr und mehr an Bedeutung. Das Saalgebäude war inzwischen sehr baufällig geworden und konnte für Veranstaltungen nicht mehr genutzt werden. Aus Altersgründen gab Erna Thies dann 1970 das Geschäft und die Gaststätte endgültig aus, nachdem sie zuletzt noch von ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn, Gerda und Emil Neißon, unterstützt worden war.
Nachnutzung durch die Kirche - Saal und Kindergarten
Nachdem das alte Gebäude eine Zeitlang ungenutzt wr und genau wie das gegenüberliegende Saalgebäude zusehends verfiel, kaufte 1971 auf Initiative von Pastor Uwe Asmussen die Kirchengemeinde Seester die beiden Gebäude von Erna Thies und ließ zunächst die seit Jahren undichten Dächer reparieren. In der Folgezeit wurde zunächst die Gaststätte und später auch das Saalgebäude renoviert und für Gemeindezwecke umgebaut.
In einem Großteil des alten Gaststättengebäudes konnte so in den 1970er Jahren die evangelische Kinderstube eingerichtet werden. Einige Räume wurden durch die Kirchengemeinde als Büro oder Sitzungsraum genutzt, im Dachgeschoss gab es Schlafgelegenheiten, die unter anderem von kirchlichen Reisegruppen genutzt wurden. In den 1990er Jahren erfolgte die Erweiterung von der Kinderspielstube zum Kindergarten. Hierfür waren nochmals umfassende Umbauarbeiten notwendig. So wurde das Dachgeschoss gänzlich neu gestaltet und hier neben Gruppen- und Büroräumen auch Waschräume und Garderoben geschaffen.
Das Saalgebäude erhielt Ende der 1980er Jahre eine umfassende Sanierung. Lange Zeit war der "Kirchensaal", wie der Saal nun genannt wurde, neben den kleineren Gemeinderäumen im alten Schulgebäude sowie den ortsansässigen Gastronomien der einzige Veranstaltungsraum in der Gemeinde, der nicht nur von der Kirche für verschiedene Veranstaltungen genutzt wurde, sondern auch von Vereinen und Privatleuten gemietet werden konnte. Die Freiwillige Feuerwehr Seester feierte hier am 6. Januar 2012, auf den Tag genau 100 Jahre nach und am Ort ihrer Gründung ihr rundes Jubiläum. Nach dem Bau des Dorfgemeinschaftshauses am Schulsteig 2014 ging die Zahl der Veranstaltungen auf dem Kirchensaal deutlich zurück. Stattdessen bildete sich eine Gruppe von Menschen, welche in den Sommermonaten von Mai bis Oktober an Sonn- und Feiertagen einen Cafebetrieb im Kirchensaal organisierten. Der Erlös aus dem Verkauf von Kaffee und Kuchen an Einheimische und Radfahrer kommt vollständig der Renovierung und dem Erhalt des Kirchensaals zugute. Aktuell ruht der Betrieb des ehrenamtlich betriebenen Cafés jedoch in den Jahren 2020 und 2021 aufgrund der Auflagen durch die Corona-Pandemie.
Quelle:
P. Danker-Carstensen: Gemeinde Seester - Geschichte eines Dorfes in der Elbmarsch und ein Beitrag zur Geschichte des Kirchspiels Seester, 1993. Restexemplare der rund 300-seitigen Dorfchronik sind bei der Gemeinde Seester käuflich zu erwerben.
Standort:
Seesteraudeich, 25370 Seester
gegenüber Hausnummer 150